Du oder Sie?
Je älter ich werde, desto komplizierter wird die Handhabung von „Du“ und „Sie“. Als Kind war es ganz einfach: alle Menschen, die aus der Kinderperspektive erwachsen schienen – also alle uralten Leute ab ungefähr 17 – wurden gesiezt. Und ich selbst natürlich geduzt. In der Pubertät wurde es dann etwas schwieriger. Ab der 11. Klasse fingen viele Lehrer an, uns Schüler zu siezen. Da ich etwas älter aussah, wurde ich auch häufig von Verkäufer/innen und jüngeren Kindern, die nach der Uhrzeit gefragt haben, gesiezt. Ich selbst habe die meisten Erwachsenen immer noch mit „Sie“ angesprochen.
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Mittlerweile differenziere ich nach dem Auftreten der Personen, ihrem wahren oder gefühlten Alter und der Rolle, in der sie mir entgegentreten. Außerdem kommt es darauf an, ob es angebracht ist, der Person besonderen Respekt oder Höflichkeit entgegenzubringen. Ich würde sagen, je älter, konservativer und statushöher eine Person erscheint, desto eher ist sie zu siezen. Daraus ergibt sich: Behördenmitarbeiter, Professoren, Verkäufer/innen über 30, Kellner in guten Restaurants, Ärzte etc. sind „Sie“-Leute. Dönerverkäufer, Kellner in Bars und Cafés mit jungem oder junggebliebenem Publikum, Mitarbeiter in Platten- und Klamottenläden werden meistens von mir geduzt. Es gibt jedoch immer wieder Menschen, die sich nicht in dieses Grundschema einordnen lassen. Dann versuche ich, den Gegenüber den ersten Schritt machen zu lassen. Funktioniert das nicht, benutze ich im Zweifel die Höflichkeitsform.
Welche Anrede mir gegenüber angebracht ist, hängt von der Situation ab. Grundsätzlich gilt: die Form in der ich die Menschen anspreche, in der möchte ich auch angesprochen werden. Es ist eine ziemlich absurde Situation, wenn einer siezt und der andere duzt. Noch merkwürdiger ist es, wenn sich der Gegenüber nicht entscheiden kann und beide Anreden abwechselnd benutzt. Ich habe nichts dagegen, wenn mich Personen in meinem Alter mit „Du“ ansprechen. Häufig bieten mir jedoch Menschen, die eigentlich ein „Sie“ ausstrahlen, das „Du“ an. In diesen Situationen fällt es mir zugegebenermaßen sehr schwer, das „Du“ zu benutzen. Denn es passt nicht in das Bild, das ich mir von dem Menschen mache und ist in bestimmten Situationen auch zu persönlich und von daher unangebracht.
Meine Gynäkologin macht es sich ganz einfach. Sie spricht ihre Patientinnen immer in der 3.Person singular an: „Guten Tag, wie geht es ihr denn heute?“
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