R. und die Schokoladenfabrik

7.4.2008 von maria

Die Werbungen der großen Schokoladenhersteller erwecken die Vorstellung, dass die Schokolade in den Fabriken bei strengster Hygiene, unter Verwendung ausgesuchter Zutaten und mit liebevoller Hand hergestellt wird. Dass die Wirklichkeit etwas anders aussieht, erfuhr ich in einem Interwiew mit einem jungen Herrn, der eine Zeit lang in einer Schokoladenfabrik gearbeitet hat.

schokolade

Foto: cybersnot

M: Hallo R., du hast einige Zeit lang in einer Fabrik für Industrieschokolade gearbeitet. Dort wird die Schokoladenrohmasse hergestellt, die dann in Pelletform an Endunternehmen weitergeliefert wird.
R: Ja, es handelte sich um eine ca. 50 Mann starke Firma eines globalen Zulieferers, die für bekannte Großanbieter herstellt.
M: Die Fabrik produziert also Milchschokoladestückchen, die dann beim Großanbieter weiterverarbeitet werden zu Endprodukten, die man in jedem Supermarkt findet.
R: Ja, eigentlich jede geforderte Schokoladensorte

schokomasse

Foto: letota

M: Erst mal zu dir: wie lange hast du dort ungefähr gearbeitet und in welchem Umfang?
R: Vermittelt wurde ich durch eine Zeitarbeitsfirma. Angestellt wurde ich meistens ca. für 2 Wochen, in denen ich dann Vollzeit dort gearbeitet habe. Alles in allem hab ich dort ca. ein halbes Jahr verbracht.
M: Was für Tätigkeiten hast du denn dort verrichtet?
R: Ich habe die hergestellten Schokoladenpellets in einem 25 kg Karton verpackt. Hin und wieder war ich bei der eigentlichen Herstellung dabei.
M: Das heißt, du standest auch am Fließband?
R: Eigentlich stand ich fast immer am Fließband. Meistens ist man da 8 Stunden allein.
Die Arbeitsschritte sind ja so gemacht dass eine einzelne Person an einer Maschine arbeiten kann. Die Schokolade kommt von einem Fließband, fällt durch ein grobes Sieb und wird von einem Pappkarton aufgefangen. Meine Aufgabe bestand darin, genügend leere Kartons bereit zustellen und die gefüllten Kartons zu verschließen. Danach wird der 25kg Karton auf eine Palette gestellt und das Produkt gilt als auslieferbereit.

M: Waren die Leute dort alle über die Zeitarbeitsfirma eingestellt oder gab es überwiegend Festangestellte?
R: Auf 2 Festangestellte kommen ca. 5 Plätties von einer Zeitarbeitsfirma.
M: Was sind denn Plätties
R: Plätties sind Volldeppen , Idioten.
Die Auswahl des Personals war nicht immer die beste.
M: Ok, heißt das, es wurden irgendwelche Arbeitslosen genommen, für die es sonst keine Verwendung gab? Wurde denn jeder genommen, oder gab es irgendwelche Voraussetzungen bezüglich der Qualifikation?
R: Traurig, aber wahr: im Endeffekt haben die jeden genommen. Es gibt für den Job keine Voraussetzungen. Für den gezahlten Hungerlohn ist natürlich nicht jeder bereit zu arbeiten. Im großen und ganzen waren da immer junge Menschen ohne Ausbildung oder Langzeitarbeitslose. Was mich verwundert hat war, dass dort auch schwangere Frauen gearbeitet haben, deren Tätigkeiten bestimmt nicht den Voraussetzungen des Schwangerenschutzes entsprachen.

M: Wie viel hast du dort verdient?
R: € 5,80 pro Stunde

schokomund

Foto: urbanknite


M: Isst du noch Schokolade?
R: Äußerst selten.
M: Warum nicht?
R: Also , ich glaube die Tage in der Schokoladenfabrik haben mir die Lust an der Nascherei genommen. Am Anfang war ich auch begeistert und dachte natürlich ich werde da jeden Tag was in mich reinstopfen . Die Realität sah leider gar nicht so aus. Die hygienischen Zustände waren nicht immer so vertrauenserweckend. Es gibt z.B. eine Handschuhpflicht die von allen wissentlich übergangen wird. Nicht aus bösem Willen sondern weil es sich ohne einfach besser arbeitet. Die Vorgesetzten drücken da gern ein Auge zu. Ein Haarnetz war immer absolute Pflicht und wurde auch immer getragen. Allerdings verliert man ja nicht nur Haare auf dem Kopf sondern auch im Gesicht und an den Armen und die landen dann eben ob gewollt oder ungewollt in der Schokolade.
M: Wurdest du bezüglich irgendwelcher Hygienevoraussetzungen belehrt?
R: Eine direkte mündliche Belehrung hab ich nie bekommen obwohl man ständig eine solche Belehrung unterzeichnen musste. Die Schokolade ist eigentlich für jeden zugänglich, ob in den Produktionsstätten oder bei der Verpackung. Dass man das Produkt probiert, ist ganz üblich dort. Selbst die Chefs greifen da ohne Bedacht zu. Bedenklich finde ich, dass man nicht einmal einen Gesundheitscheck bestehen musste. Eine Art Tauglichkeitstest für die Nahrungsmittelbranche gibt es da nicht (vielleicht für die Festangestellten). Am schlimmsten find ich, dass es dort Mäusefallen en masse gab. Klar kann man ein großes Fabrikgelände nicht vor hungrigen Nagern beschützen. Aber die Tatsache, dass die toten Mäuse nicht immer sofort entfernt wurden und dann eine Weile neben dem Förderband rumlagen, gehört wohl zu den ekligsten Vorwürfen die man da machen kann.

M: Gab es denn keine Kontrollen von irgendwelchen Gesundheitsbehörden? Hast du je eine Kontrolle miterlebt?
R: Selbst miterlebt hab ich keine. Es gibt aber ein internes Labor. Wie erfolgreich /erfolglos die sind kann ich aber nicht sagen.
M: In Fabriken, die nicht im Lebensmittelbereich sind, ist es ja Gang und Gäbe, dass die halbe Belegschaft schon zum Frühstück das erste Bier trinkt. War das dort auch so?
R: Ja das kam hin und wieder vor . Zwar wurde nie direkt darüber geredet aber dafür haben manche einfach ihren Atem sprechen lassen. Ich meine damit, dass oft gerade die etwas älteren Leute da schon gern mit einer Alkoholfahne auftauchten.

schokomasse II

Foto: danzo08


M: Es gibt doch bestimmt viele Fabriken, die die Endanbieter beliefern, oder?
R: Ja, ABER wir sind günstiger und schneller.
M: Denkst du, dass die Situation in anderen Fabriken auch so ist?
R: Naja ich bin jetzt nicht mehr so blind um glauben das es überall sauber zugeht. M: Glaubst du, dass die großen Schokoladenhersteller wissen, wie die Zustände bei euch sind?
R: ich denke nicht. Die geben eine Bestellung auf und wenn Qualität und Preis stimmen, dann läuft das Geschäft.
M: Denkst du, dass die Situation in deren Fabriken genau so ist – oder sind sie dort ordentlicher, weil sie befürchten, dass ihr Name in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn so etwas rauskommt? Wenn man die Vorarbeit durch eine fremde Firma machen lässt, kann man sich ja immer darauf berufen, von alledem nichts gewusst zu haben.
R: Da bin ich mir sogar sicher. Die haben ja einen Namen zu verlieren.
M: Würdest du wieder dort arbeiten?
R: Eigentlich ungern. Ich hab dort gejobt, weil es sonst kein freien Stellen gab.
M: Riecht es in einer Schokoladenfabrik eigentlich lecker nach Schokolade, oder ist der Geruch der Einzelzutaten eher eklig?
R: Es riecht leider gar nicht nach Schokolade. Eher nach abgestandenen Lagerräumen.

Danke und Guten Apettit!

Unter Genuss


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