Wenn Freunde zu Geschäftspartnern werden wollen

25.3.2008 von oliver

Die deutsche Übersetzung klingt ziemlich harmlos: „Schneeballsystem“. Das englische Original „Pyramid Scheme“ dagegen ruft bei denjenigen, die damit vertraut sind, oftmals negative Gefühle hervor. Allein schon das Wort „Scheme“ kann auch als „Intrige“ oder „Komplott“ übersetzt werden.

Heute morgen stand ich in einer Warteschlange, während vor mir ein etwa Dreißigjähriger eine Geschichte von einem ehemaligen Freund erzählte, den er schon seit knapp 10 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dieser Freund rief unerwartet an und erzählte ihm, er arbeite im Vertrieb für eine amerikanische Firma und ob er nicht Interesse hätte, bei ihm ein paar Produkte zu kaufen. Die Firma habe alles Mögliche im Sortiment, Zahnpasta, Putzmittel, Werkzeuge bis hin zu Nahrungsmittelzusätzen. Die Nahrungsmittelzusätze seien besonders gut. Diesem alten Freund war allerdings nicht bewusst, dass es sich bei seinem potentiellen Kunden um einen relativ bodenständigen, jungen Kreuzberger handelte, der natürlich eine gesunde Skepsis gegenüber solchen Kaltanrufen mitbrachte. Warum hat er sich 10 Jahre lang nicht gemeldet? Und jetzt will er gleich etwas verkaufen? Und das von einer Firma, die so gut wie alles verkauft, was in der heutigen Welt kaum noch vorkommt und von daher ohnehin etwas fischig riecht.

Pyramidensysteme
Bild: Swamibu

Er lehnte also freundlich ab, trotz weiterer Überzeugungsversuche seines zum Vertreter gewordenen ehemaligen Freundes. Dieser rief dann bei einer gemeinsamen Freundin an, um noch eine weitere Telefonnummer sowie seine Email-Adresse in Erfahrung zu bringen. Am nächsten Tag hatte unser Opfer also eine Email in seiner Inbox, in der der alte Freund sich förmlich für das nette Gespräch bedankte und vorschlug, dass er mal in Berlin vorbeikomme, um mit ihm persönlich zu sprechen. Ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er dabei gleich seine Geschäftspartnerin mitbringe? An diesem Punkt wurde es dem Kreuzberger zu viel und er antwortete, dass er allerdings etwas dagegen habe und dass er ihn mit seinen Produkten in Zukunft in Ruhe lassen solle.

Das alles schien ihn ziemlich verwirrt zu haben, aber mir kam diese Geschichte sehr bekannt vor. Denn vor Jahren verfiel eine Freundin aus Kanada einer solchen Firma. Mitunter auch aus Sorge um sie fing ich an, mich über dieses Thema zu informieren, denn diese Freundin – von Geschäftsideen und vom reich werden redend – schottete sich immer mehr gegenüber ihren früheren Freunden ab.

Die verkauften Produkte selbst sind nicht das Problem. Oftmals handelt es sich sogar um bekannte Markenprodukte. Auch tun diese Firmen selbst nicht wirklich etwas Illegales. Das Problem liegt im Vertriebssystem. Denn anstatt sich auf normale Vertriebskanäle wie Supermärkte, eigene Läden oder das Internet zu verlassen, werden Produkte ausschließlich im Freundeskreis verkauft. Etwa wie die auch in Deutschland verbreitete Tupperware, nur mit einem weitaus größerem Netz und mit mehr Produkten.

Und das funktioniert so: Wer als Verkäufer arbeiten will – und das kann hauptberuflich sowie nebenher geschehen – bekommt für jedes Produkt, das er verkauft, eine Provision. Aber nicht nur das. Jeder neue Verkäufer, den man dazu gewinnt, ist einem in der Hierarchie unterstellt. Zusätzlich zu den eigenen Provisionen kassiert man noch einen Teil der Provisionen der Verkäufer, die einem unterstellt sind. In einer idealen Welt steht man nach einer Weile einer an der Spitze seiner kleinen Hierarchie (daher der Name „Pyramid Scheme“) und muss nichts mehr tun. Man kassiert lediglich die Provisionen all der fleißigen Verkäufer unter einem und verbringt den Tag gemütlich auf der neu erworbenen Yacht. Zumindest ist das die Beschreibung, mit der neue Verkäufer gewonnen werden.

Dass das in der realen Welt nicht funktioniert, haben wir schon am Anfang dieses Artikels gesehen. Denn Freunde lassen sich nicht gerne für dubiose Geschäfte missbrauchen. Den Verkäufern wird das oftmals jedoch als ihr eigenes Defizit angelastet. Man müsse an seinen Verkaufstalenten arbeiten, um höhere Erfolgsquoten zu erzielen, wird einem erzählt. Zu diesem Zweck gibt es jede Menge Workshops, Videomaterial und Bücher, die einem das erfolgreiche Verkaufen beibringen sollen. Hier liegt das eigentlich Geld dieser Branche. Denn nicht die Verkäufer verdienen in diesem System – im Gegenteil, die meisten unter ihnen gehen mit hohen Verlusten aus der Sache raus. Sondern die großen Gewinner sind diejenigen, die das teure Schulungsmaterial bereit stellen. Im Internet findet man jede Menge Informationen zu diesem Thema. Selbst Transkriptionen von Workshops lassen sich finden. Beim Lesen dieser Transkriptionen fällt auf, dass eigentlich überhaupt keine Informationen preisgegeben werden. Die Teilnehmer werden heiß gemacht („Willst auch du viel Geld verdienen, ohne etwas zu tun?“), dann werden Geschichten von erfolgreichen Verkäufern erzählt („Jim hat so angefangen wie du und nach drei Jahren fährt er nun seinen eigenen Porsche und spielt den ganzen Tag Golf.“) und letztendlich wird auf den nächsten Workshop oder auf weiteres Material verwiesen („Wie das im Detail funktioniert, erzählen wir im nächsten Workshop und auf unserem Videomaterial.“). All diese Workshops und Materialien sind also nur Werbung für andere Workshops und Materialien, die wiederum nur Werbung sind.

Früher oder später kommen die Verkäufer dahinter und steigen aus. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie aber schon jede Menge Geld liegengelassen. Und so gut wie nichts verkauft. Wie auch bei dieser Freundin von mir, die letztendlich doch noch den Ausstieg schaffte und seitdem auch wieder mit mir spricht. Übrigens habe ich schon mehrfach eine Produktliste einer solchen Firma gesehen. Wenn man mal die Preise vergleicht, stellt man fest, dass die Produkte auch nicht billiger sind als im Supermarkt um die Ecke. Es lohnt sich also auch als Kunde nicht. Und als Verkäufer erst recht nicht.

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Eine Antwort

  1. Norbert Warnke

    Leider sind einige Dinge in dem Beitrag nicht ganz richtig.

    So ist im Network Marketing sicher nicht das Vertriebssystem selbst ein Problem, sondern der oft zu laienhafte und falsche Umgang mit den Möglichkeiten, die diese Branche bietet. Auch werden Waren nicht ausschliesslich im Freundeskreis verkauft, sondern neben ganz normaler Werbung sehr viel vor allem mit dem Instrument der Empfehlung gearbeitet.

    Direktvertrieb gibt es bereits seit sehr langer Zeit. Den Staubsaugervertreter kennen viele noch, die Kosmetikberaterin war in den 60er Jahren sogar noch im Fernsehen zu sehen und spätestens seit den 70ern wurden die Kunststoffbehälterparties immer bekannter. Mit der Zeit haben einfach noch eine Menge weiterer Produktgruppen Einzug in den Direktvertrieb gehalten und mit einer besonderen Form des strukturierten Direktvertriebs konnte sich das Network Marketing als eigenständige Vertriebsform mit zusätzlichen Möglichkeiten etablieren.

    Allein in Deutschland arbeiten bereits mehrere hunderttausend Menschen mit dieser Vertriebsform meist seriös und unauffällig, während einige schwarze Schafe der Branche (diese gibt es in jeder Branche) um so deutlicher wahrgenommen werden.

    Es gibt Möglichkeiten, dieses Geschäft in verschiedener Intension auch ganz ohne finanzielle Risiken zu betreiben, aber leider sind es gerade die unschönen Einzelfälle, die für ein verfremdetes Bild sorgen. Risiken sind bei objektiver Information nahezu vollständig vermeidbar, wenn man weiss, worauf zu achten ist. Falsche oder unvollständige Informationen sind tatsächlich leider die grössten Risikofaktoren.